Im vorigen Beitrag bin ich auf die Verdauliche Energie DE eingegangen, die die ursprüngliche
Substanz (uS), eines Futters enthält und habe als Bedarf für das Kaninchen 1,2
MJ/Tag angenommen. Das ist ein mittlerer Wert aus typischen Empfehlungen in der
Fachliteratur. Ich schrieb auch, dass es ein fataler Irrtum wäre anzunehmen,
dass der Energiegehalt eines Futters und die nötige
Aufnahmemenge dazu verleiten könnte anzunehmen, mit dem Kaninchen
eine "Diät" zum Abnehmen durchführen zu können. Viele Halter sind mit dem Problem übergewichtiger Tiere
konfrontiert und werden dann aufgefordert, ihre Tiere „kalorienarm“ z. B. mit
Salaten zu ernähren. Von wem so was kommt, brauche ich nicht noch einmal zu
erwähnen, aber warum das Unfug ist, möchte ich im Folgenden erläutern. Leider ist
das Thema etwas „trocken“, weil man halt herumrechnen muss. Wenn man das
Prinzip aber einmal verstanden hat, lässt man bestimmte Internetseiten im Interesse seiner Tiere in
Zukunft links liegen.
Normalerweise fressen Kaninchen „auf Energie“. Das heißt,
sie nehmen von einem Futter mit allen benötigten Nährstoffen so viel auf, wie
sie für die Deckung ihres Bedarfes an Energie brauchen. Diese natürliche
Regulierung kann aber durch eine Reihe von Faktoren außer Kraft gesetzt werden.
So funktioniert sie z. B. nur, wenn das Futter 9,0-9,5 MJ/kg TS oder mehr
enthält. Ist der Energiegehalt geringer, wird die Aufnahme durch den physikalischen
Faktor der Füllung des Magen/Darm-Traktes reguliert und begrenzt (Fekete, 1991;
Gidenne, et al., 2010).
Bei Angaben zu Gehalten von Nährstoffen oder der Energie wird
in der Tierernährung unterschieden zwischen solchen in der „Trockensubstanz“
(TS) und der „ursprünglichen“ bzw. „Frischesubstanz“ (uS). In der Trockensubstanz
fehlt das Wasser, was Futtermittel direkt miteinander vergleichbar macht (siehe auch Rühle,
2017).
Im ersten Beitrag zur Energie habe ich die Futtermengen angegeben, die ein 2,5-kg-Kaninchen von
verschiedenen, frischen (uS) Futtermitteln aufnehmen müsste, um seinen Bedarf
von DE 1,2 MJ/Tag zu befriedigen. Wie gesagt: nur den Energiebedarf! Ich greife
mir einmal die Mohrrübe und den Apfel aus der Tabelle heraus, die laut einer Tierschutz-Empfehlung
gern täglich ohne Mengenangabe gefüttert werden dürfen: von Möhren müssten 716 g
und von Äpfeln 520 g gefressen werden, um den Energiebedarf zu erfüllen, im Vergleich
dazu wären von Wiesengras 577 g nötig. Das sieht eigentlich recht gut aus, denn
im Mittel beträgt die nötige Menge von Äpfeln und Möhren 618 g. Mehr als
Wiesengras. Das heißt eigentlich, dass das Kaninchen mit einem Gewicht von 2,5
kg mit diesen beiden Futtermitteln prima abnehmen könnte. Es muss ja mehr von
Möhren und Äpfeln fressen, als von Wiesengras! Klingt perfekt. Noch etwas Heu
dazu, weil das sein muss (warum auch immer) und dann passt das. Das würde auch
die Darstellung einer Tierschutzseite erhärten, warum Kaninchen mit
arttypischer Nahrung „dick“ werden, aber mit Alternativen nicht. Wunderbar.
Statt sich den Buckel krumm zu machen und täglich frisches, arttypisches Futter
zu beschaffen, kann man bequem und einfach im Supermarkt einkaufen und ist ein
guter Mensch/Tierschützer/Tierhalter.
Leider, leider, leider hat die Natur der Bequemlichkeit ein
Bein gestellt. Sie will es nicht „einfach“, sie will es tiergerecht. An dieser
Stelle sei ausdrücklich bemerkt, dass ich nur der Überbringer der schlechten
Nachrichten bin. Ich habe die Fakten nicht gemacht, sondern weise nur auf
solche hin - unabhängig von Religion oder Ideologie. Beschwerden über die
Fakten sind also an Mutter Natur zu richten.
Die Angaben zu den erwähnten Verzehrmengen bezogen sich auf die
ursprünglichen, frischen Futtermittel. Um die folgenden Erklärungen zu
verstehen, muss man einen Blick auf die Gehalte der Verdaulichen Energie DE in
der Trockensubstanz werfen.
Tabelle 1: Gehalte an Verdaulicher Energie DE verschiedener Futtermittel und Verzehrmengen (frisch in g uS/Tag und Trockensubstanz in g/TS/Tag), aufsteigend sortiert nach der Aufnahme von Trockensubstanz in g TS/Tag
Unser Beispielkaninchen mit einem Gewicht von 2,5 kg frisst
am Tag theoretisch eine Trockensubstanzmenge von ungefähr 100-120 g, was etwa 4% seines
Körpergewichtes entspricht. Mit Wiesengras müsste es 115 g Trockensubstanz
fressen, um auf den benötigten Gehalt an Verdaulicher Energie DE zu kommen, mit
Möhren und Äpfeln aber nur ca. 80 g.
Mit anderen Worten: mit Möhren und Äpfeln muss das Kaninchen
weniger „Substanz“ aufnehmen, um auf den benötigten Energiegehalt zu kommen. Das entlarvt einerseits das Argument der nötigen
Versorgung mit Gemüse für „schlankere“ Tiere der erwähnten Tierschutzseite als
groben Unfug, andererseits wird damit klar, dass dem Kaninchen die „Substanz“ (20%) fehlt, in der nämlich neben der Energie noch andere, wichtige Nährstoffe stecken.
Seinen Energiebedarf hat es ja bereits gedeckt. Wenn es jetzt mehr von Möhren
und Äpfeln fressen würde, um auf den Trockensubstanzgehalt von Wiesengras zu
kommen, würde sich ja auch die Energieaufnahme erhöhen.
Noch einmal mit ganz einfach Worten: mit Möhren und Äpfeln nehmen Kaninchen große Mengen Wasser auf. Die Nährstoffe (und Energie) stecken aber in der Trockensubstanz. Mit Möhren und Äpfeln ist die Aufnahme an Trockensubstanz im Vergleich zur arttypischen Nahrung geringer. Um die Differenz auszugleichen, müssten sie mehr Möhren und Äpfel als Wiesengras fressen. Damit wäre aber auch die Energiemenge größer.
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Quellen:
- Fekete, S. 1991. Neuere Erkenntnisse zur Verdauungsphysiologie des Kaninchens. Übers. Tierernährg. 1991, 19, S. 1-22
- Gidenne, T., Carabaño, R. und García, J., de Blas, C. 2010. Fibre Digestion. [Hrsg.] C. de Blas und J. Wiseman. Nutrition of the Rabbit. 2nd. Ed. Wallingford (UK). CAB International, 2010, S. 66-82
- Rühle, A. (2017): Das Kaninchen - Nahrung und Gesundheit. Norderstedt: BoD. ISBN 978-3743117990
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