Sonntag, 10. Dezember 2017

Kohlenhydrate. Teil 1

Die Kohlenhydrate sind der größte Nachteil der Weende-Futtermittelanalyse und somit auch der deklarierten Werte für Futtermittel. Sie tauchen wertemäßig einfach nirgends auf. Obwohl sie über einen sehr großen Einfluss auf viele Aspekte der Gesunderhaltung von Kaninchen verfügen. Das geht bei den Zähnen los, erstreckt sich über den Darm und, nicht nur allein daraus reslutierend, auch auf das Immunsystem. Kohlenhdrate versorgen das Gehirn und die Bakterien im Blinddarm mit Nahrung, regulieren die Geschwindigkeit der Nahrung im Darm, schützen oder schädigen die Darmschleimhaut, liefern Energie, beeinflussen das Säure-Base-Gleichgewicht - kurz: sie sind universell wichtig, und zwar jede Gruppe von Kohlenhydraten für sich.

Der Deutsche Verband Tiernahrung e. V. (DVT) informiert auf seiner Internetseite z. B. folgendermaßen: "Oft liest oder hört man, dass die Landwirte gar nicht wüssten, was alles in ihrem eingekauften Futter enthalten sei. Das stimmt nicht. Denn Futtermittel sind mit all ihren Bestandteilen umfangreicher zu kennzeichnen als Lebensmittel, so fordert es das Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch und die zahlreichen europäischen Verordnungen im Futtermittelrecht." (Hervorhebung von mir). Na jetzt aber! Fake News von Landwirten! Und von mir! Die Futtermittelindustrie tut alles Mögliche um zahlreiche Gesetze und Verordnungen zu erfüllen und wir behaupten, wir wüssten nicht, was in einem kommerziellen Futter enthalten sei. SKANDAL!

In Deutschland ist es auch heute noch so, dass Lobbyisten der Futtermittelindustrie auf Grund wissenschaftlicher Ergebnisse argumentieren, denen Tierschützer oft nichts entgegenzusetzen haben. Schlimmer noch: sie stellen zum Teil Forderungen, die tatsächlich Tieren schaden können und deshalb natürlich vom Tisch gewischt werden (können). Dabei wäre es relativ einfach, die Futtermittelindustrie und deren Lobbyisten mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Man muss sie nur nutzen.

In den Kommentaren von Hirt, Maisack & Moritz (2007) zum Tierschutzgesetz wird u. a. folgendes festgestellt: "Zu einer angemessenen Ernährung gehören drei Voraussetzungen: 1. Die Deckung des physiologischen Bedarfs an Nahrungsstoffen (wie Wasser, Kohlehydrate, Proteine, essentielle Fettsäuren, Vitamine, Mineralstoffe, Spurenelemente, Ballaststoffe); 2. eine Darreichungsform, die das mit der Nahrungssuche und -aufnahme verbundene Beschäftigungsbedürfnis befriedigt, indem sie die zu dem betreffenden Funktionskreis gehörenden Verhaltensabläufe ermöglicht; 3. die Gewährleistung der gleichzeitigen Nahrungsaufnahme bei sozial lebenden Tierarten [...]. (Hervorhebungen von mir)".

Das bedeutet folgendes: wenn ich meiner gesetzlichen Verantwortung als Tierhalter gerecht werden will, muss ich die Voraussetzungen für eine angemessene Ernährung meiner Kaninchen erfüllen. Dazu gehört, dass ich Kenntnis über die Deckung des physiologischen Bedarfs wie Kohlenhydrate, essentielle Fettsäuren und Ballaststoffen haben muss und natürlich auch den Bedarf meiner Tiere an diesen durch eine angemessene Fütterung entsprechend erfülle.

Was machen wir also, liebe Leser? Genau! Wir kaufen ein Futtermittel für Kaninchen, welches deklariert ist und sind raus aus dem Schneider. Das behauptet ja der DTV. Erst wenn wir ein deklariertes Futtermittel kaufen, wissen wir alles. Futtermittelgesetzbuch und europäischer Verordnungen sei Dank ist alles paletti und wer das Gegenteil behauptet, verbreitet Fake News. Also - schnell einen Sack feinster Pellets gekauft und nachgelesen, was da so alles drin ist.

Bild 1: Deklaration eines kommerziellen Futtermittels für Kaninchen


Jetzt brauche ich mal Ihre Hilfe, liebe Leser, weil ich in dieser Information weder Kohlenhydrate, noch essentielle Fettsäuren oder Ballaststoffe entdecken kann. Am I blind? Was mache ich jetzt? Ich will doch nicht gegen geltendes, deutsches Recht und sogar europäisches Regeln verstoßen! Wenn das hier ein Beamter mitliest, bin ich doch jetzt schon am A...: "Bürger Rühle, Sie wurden bei der öffentlichen Bekundung ertappt, dass sie der gesetzlich ordnungsgemäßen Deklaration nicht die entsprechenden Informationen entnehmen können und in Folge dessen auch ihre Tiere nicht artgemäß versorgen können. Sie werden deshalb zur Aufnahme pelletierter Lebensmittel nicht unter einem Jahr verurteilt." Ach, Du Schreck ...

Es gibt zwar Kohlenhydrate in dem Futter, aber sie werden in der Weender Analyse als "Rohfaser" (Rfa) und "Stickstofffreie Extraktstoffe" (NfE) ermittelt. Die Rfa wird angegeben, die NfE müssen errechnet werden. In der Rohfaser steckt aber auch noch Lignin, welches kein Kohlenhydrat ist, sondern eine phenolische Verbindung, die von den Bakterien im Blinddarm des Kaninchens (und Menschen) nicht abgebaut werden kann. Es ist also "unverdaulich".

Na gut, werden Sie jetzt sagen - ist doch egal, ob ich jetzt Rfa und NfE habe oder irgend etwas anderes. Ich sehe, was unverdaulich ist und das wars. Was will der jetzt von mir? Naja, ich eigentlich sowieso nichts, sondern das Kaninchen. Das braucht bestimmte Kohlenhdrate für seinen Blinddarm. Dort siedeln nämlich jede Menge Bakterien, die von ganz bestimmten Kohlenhydraten leben. Sie leben gewissermaßen in Symbiose mit dem Kaninchen: das Tier besorgt ihnen die benötigten Nährstoffe und die Bakterien liefern dem Tier dafür Fettsäuren (keine essentiellen), Vitamine (K und B) sowie Protein, welches von ihnen selbst (den Bakterien) stammt.

Zunächst wollen wir aber erst einmal die Begriffe Ballaststoffe und Rohfaser klären.

Ballaststoffe

In der europäischen Richtlinie (2008/100/EG) wird der Begriff „Ballaststoffe“ folgendermaßen definiert: "Kohlenhydratpolymere mit drei oder mehr Monomereinheiten, die im Dünndarm des Menschen weder verdaut noch absorbiert werden und zu folgenden Kategorien zählen:
  • essbare Kohlenhydratpolymere, die in Lebensmitteln, wenn diese verzehrt werden, auf natürliche Weise vorkommen;
  • essbare Kohlenhydratpolymere, die auf physikalische, enzymatische oder chemische Weise aus Lebensmittelrohstoffen gewonnen werden und laut allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweisen eine positive physiologische Wirkung besitzen;
  • essbare synthetische Kohlenhydratpolymere, die laut allgemein anerkannten wissenschaftlichen Nachweisen eine positive physiologische Wirkung besitzen.
„Ballaststoffe“ werden mit enzymatisch-chemischen Methoden ermittelt. Sie haben nichts mit dem Gehalt der Rohfaser zu tun, die in der Tierernährung mit der Weende-Analyse erfasst wird.

Rohfaser

Die „Rohfaser“ in der Weende-Futtermittelanalyse wird als der in verdünnten Säuren und Laugen unlösliche fett-, stickstoff- und aschefreie Rückstand der Trockenmasse ermittelt. Da ein Teil dieser Stoffe aber in Lösung geht, werden diese auch mit der Gruppe der „Stickstofffreien Extraktstoffe“ erfasst. Die „Rohfaser“ kann somit zwar „Ballaststoffe“ gemäß der EG-Definition enthalten, die Nährstoffgruppen an sich sind aber nicht vergleichbar. In der Definition taucht wieder der Begriff „Kohlenhydrate“ auf, der in der Weende-Analyse aber keine Rolle spielt.

Bild 2: Rohnährstoffe in Apfel, Grünkohl und Wiese, in g/kg Trockensubstanz


Die Futtermittel sind nach dem Rohfasergehalt aufsteigend sortiert. Die Empfehlung liegt in einem Bereich von 140-160 g/kg TS. In kommerziellen Futtermitteln wie Pellets wird dieser Bereich natürlich immer punktgenau getroffen, mit Grünkohl würde man ihn gerade so treffen und mit Wiese liegt man schon deutlich darüber - von Heu gar nicht zu reden. Verrückt, oder? Was Wildkaninchen fressen, ist an den Empfehlungen von Wissenschaftlern vorbei und nur Pellets können den Gehalt erfüllen. Wenn das die Wildkaninchen wüssten ... 

Ein Klassiker in Deutschland für das Thema "Kaninchen" ist "Das große Buch vom Kaninchen" von Dr. Wolfgang Schlolaut, welches 2003 in dritter Auflage erschienen. Dort kann man u. a. folgendes nachlesen (Hervorhebungen von mir): "Aufgrund der im allgemeinen durch den Cellulosegehalt bedingten schlechteren Verdaulichkeit ist der Rohfasergehalt eines Futtermittels auch Maßstab für den Energiegehalt des Futters. Mit steigendem Rohfasergehalt verschlechtert sich die Verdaulichkeit der organischen Substanz und darnit die Futterverwertung. Allerdings kann dies bei Mischfutter durch eine Beimischung von Fett kompensiert werden. Der Rohfasergehalt hat vor allem diatetische Wirkung, da er das Risiko von Darmerkrankungen verringert. Das wird unter anderern auch darauf zurückgeführt, daß die mit steigendem Rohfasergehalt schnellere Darmpassage des Futters einen Verdünnungseffekt auf die Menge der pathogenen Darmbakterien hat. Die Passagezeit wird umso mehr beschleunigt, je hoher der Anteil des nahezu unverdaulichen Lignins in der Rohfaserfraktion ist. [...] Entscheidend fur den positiven Einfluss des Rohfasergehaltes, insbesondere auf das Auftreten von Enterocolitis ist hierbei der Gehalt an Lignin. In gefährdeten Beständen sollten die bis zu 10 Wochen alten Jungtiere täglich 5 bis 7 g Lignin zusatzlich zu 11 bis 12 g Cellulose aufnehmen (n. Maertens, persönliche Mitteilung)."

Wie jetzt? Gerade war man noch bei dem vertrauten Begriff "Rohfaser" und jetzt kommen auf einmal "Lignin" und "Cellulose" dazu? Woher? Auf der Deklaration stehen die nicht! Nur keine Aufregung, liebe Leser, denn weiter heißt es: "Dies entspricht dem Rohfasergehalt für Jungtiere in Tabelle 36. Um die Aufnahme der angegebenen Mengen zu gewährleisten, sollten die Jungtiere kein Häsinnenfutter aufnehmen konnen. Die Beifütterung von Stroh oder Heu genügt nicht. Wenn das pelletierte Mischfutter beliebig aufgenommen werden kann, wird hiervon zu wenig gefressen." (Schlolaut, 2003). Na, jetzt aber! Kurz den Schweiß von der Stirn gewischt und in Tabelle 36 geschaut: dort sind die Rohfasergehalte für Jungtiere mit 14-16% und die für tragende und säugende Häsinnen mit 10-12% angegeben. Passt also, da ja Lignin und Cellulose der "Rohfaser" in den Empfehlungen entsprechen.

Was schreibt Dr. Schlolaut eigentlich über die Stickstofffreien Extraktstoffe (NfE)? "Hierzu gehören [...] alle bei der Bestimmung von Roheiweiß, -fett und -faser nicht erfaßten Reste der zur organischen Substanz gehörenden Nährstoffe. Dies sind im wesentlichen Zucker, Stärke und Hemicellulose. Sie werden auch als Kohlenhydrate bezeichnet, da sie aus den Elementen Kohlen-, Wasser- und Sauerstoff bestehen. Hierzu gehören aber auch die bei der Bestimmung des Rohfasergehaltes miterfaßten Nährstoffe. Die stickstoffreien Extraktstoffe dienen dem Kaninchen als Energielieferant und sind in Form des Zuckers schnell verfügbar. Bei Energieüberschuß werden sie in Depotfett umgewandelt." (Schlolaut, 2003; S. 20).

Was ist jetzt wieder Hemicellulose und wieso hat Dr. Schlolaut mit Luc Maertens, dem derzeitigen Kassenwart und anerkanntem Kaninchenexperten der WRSA, über Lignin und Cellulose persönlich gesprochen, wenn mit der Rohfaser eigentlich alles erledigt ist? Wo kommen auf einmal Zucker und Stärke her? Zu den Kohlenhydraten gehören auch die, die mit der Rohfaser erfasst werden? Mit den NfE? Was für ein Kuddelmuddel ...

Als Dr. Schlolaut sein Buch veröffentlichte, war die Weende-Futtermittelanalyse, mit der die Rohfaser ermittelt wird, rund 140 Jahre alt. Eigentlich ist sie noch älter, weil sie nämlich auf Heinrich Einhoff zurückgeht, der die Grundlagen dafür bereits 1806 in Möglin entwickelte. Er ging damals davon aus, dass der nach sequentieller Extraktion mit verdünnter, wässriger Säure und Lauge zurückbleibende Faserrest die unverdauliche Substanz darstellte. Veröffentlich wurde dies von Albrecht Thaer im Jahr 1809 im ersten Teil seines vierbändigen Werkes "Grundsätze der rationellen Landwirthschaft".

Bild 3: Ausschnitt aus Thaer, 1809, §275, S. 261


Ich habe dieses Zitat von Albrecht Thaer gewählt, um zu zeigen, dass schon vor 200 Jahr klar war, dass Heu nur die Hälfte dessen enthält, was als "nahrungsfähig" bezeichnet wurde. Interessant, oder? Dabei soll das ja nach Meinung vieler Experten die Hauptnahrung für Kaninchen sein ("Heu, Heu und nochmals Heu"). Naja, aber wir haben ja zum Glück die ganzen, topaktuellen Quellen, nicht wahr, Frau Meier?

Dr. Schlolaut geht in seinem Buch nicht vertiefend auf "Cellulose" und "Lignin" ein, weshalb wir uns also selber auf die Suche machen müssen.Zunächst ein wirklich sehr verkürzter Rückblick.

Theodor von Gohren stellte z. B. 1872 zur Weende-Analyse folgendes fest: „Ein Blick auf die Tabellen belehrt uns, dass sich die Analysen der Futtermittel in der Regel auf die Bestimmung des Gehaltes an Trockensubstanz, Wasser, Proteinstoffen, Fetten, Kohlehydraten, Rohfaser und Asche beschränken. Damit ist wohl schon etwas, aber bei weitem noch nicht genug geschehen, um so manche praktische Vorkommnisse zu erklären. [...] bei den Kohlehydraten ist man wegen der Trennung in noch größerer Verlegenheit und so kommt es denn, dass diese Rubriken in den Futtermittel-Analysetabellen mehr oder weniger ideelle Zahlen repräsentieren, denn der stickstoffhaltigen Pflanzenbestandtheile giebt es gar mancherlei, ebenso wie der stickstofffreien, und es wäre eine arge Täuschung, wollte man annehmen, dass alle in ihrer Wirksamkeit gleich stehen. Bekannt ist, dass es keineswegs gleichgültig ist, selbst wenn der Berechnung nach die Summe der einzelnen Nährstoffgruppen ganz gleich ist, ob man Körner oder Kleie oder Oelkuchen zu der Zu-sammensetzung der Passirung wählt…

Nehring & Hoffmann stellten 1971 fest, dass eine Charakterisierung von Futtermitteln anhand der chemischen Analyse erst dann möglich sei, wenn eine direkte Bestimmung der verschiedenen Kohlenhydrate erfolge. Deshalb bilden diese einen der Hauptschwachpunkte der Weende Analyse. Vor allem bei Grün- und Raufutter werden Unterschiede in der Zusammensetzung von Stickstofffreien Extraktstoffen (NfE) und Restkohlenhydraten durch die rechnerische Ermittlung verschleiert, da in diesen Gruppen auch andere Inhaltsstoffe mit teilweise stark abweichenden Eigenschaften erfasst werden. So kann z. B. vor allem bei Süßgräsern die Verdaulichkeit der Rohfaser besser als die der NfE sein (Nehring, et al., 1971). Ups - wir erinnern uns, dass Dr. Schlolaut zu den NfE schrieb, dass diese dem Kaninchen als Energielieferant dienen und in Form von Zucker schnell verfügbar wären.

Als Ergebnis ihrer Arbeit stellten Nehring & Hoffmann folgendes fest (Hervorhebungen von mir):
"Es zeichnen sich bei der Kohlenhydratanalyse drei charakteristische Gruppen von Verbindungen ab, die sich in ihrem chemischen Aufbau wie auch in ihrer Verdaulichkeit deutlich unterscheiden lassen:
  1. Die Gruppe der leichtlöslichen und leichthydrolysierbaren Kohlenhydrate, die praktisch als voll verdaulich anzusehen sind.
  2. Die Gruppe der schwer löslichen und schwer hydrolysierbaren Kohlenhydrate hochmolekularen Charakters, die eine mittlere Verdaulichkeit aufweisen; hierher gehören vor allem die Zellulose und Hemizellulosen.
  3. Das Lignin, die inkrustrierende Substanz der Zellwand, das nur eine geringe Verdaulichkeit aufweist.
Da sind sie ja wieder, unsere drei mysteriösen Kohlenhydratgruppen und Lignin. Das war 1971. Etwa zeitgleich, nur etwas früher, veröffentlichte der amerikanische Wissenschaftler Peter J. Van Soest ähnliche Untersuchungsergebnisse einer Methode zur Unterscheidung von Kohlenhydraten, die sich letztlich auch durchsetzte. Sie wird heute als "Detergenzienmethode" oder "Erweiterte Weende Analyse nach Van Soest" bezeichnet. Die Erfassung von Rohasche, Rohprotein und Rohfett bleiben davon unberührt bzw. diese Rohnährstoffe werden nach wie vor mit der Weende-Methode bestimmt.

In der Methode von Van Soest gibt es keine Rohfaser und NfE mehr, sie werden durch die folgenden Nährstoffgruppen ersetzt.

NDF - Neutrale Detergenzienfaser (neutral-detergent fibre)

Die NDF wird in der erweiterten Weende-Analyse nach Van Soest mittels einer Reinigungsflüssigkeit (Tensid, welches die Oberflächenspannung polarer Flüssigkeiten verringert) erfasst. Sie enthält Lignin, Cellulose und Hemicellulose (außer Pektin). NDF enthält die Gerüstsubstanzen/Zellwand der Pflanzen und begrenzt die Aufnahme der Trockenmasse eines Futters.

ADF - Saure Detergenzienfaser (acid-detergent fibre)

Die ADF wird in der erweiterten Weende-Analyse nach Van Soest mit Hilfe einer sauren Reinigungsflüssigkeit ermittelt. Sie enthält Cellulose und Lignin und ist ein Maßstab für den schlecht bis unverdaulichen Zellwandanteil. Die Differenz aus NDF und ADF ergibt den Gehalt an Hemicellulosen.

ADL - Saures Detergenzienlignin (acid-detergent lignin)

Ligninbildet eine Gruppe phenolischer Makromoleküle, gehört also nicht zu den Kohlenhydraten, wird mittels Schwefelsäure ermittelt und gilt als unverdaulich. Im Raufutter nimmt der Anteil mit zunehmendem Alter der Pflanze zu. Die Differenz aus ADF und ADL ergibt den Gehalt an Cellulose. Lignin ist ein begrenzender Faktor für die Verdaulichkeit pflanzlicher Zellwandbestandteile für Pflanzenfresser.

NFC - Nicht-Faser-Kohlenhydrate (non fibre carbohydrats)

Die Nicht-Faser-Kohlenhydrate werden auch als "Organischer Rest" bezeichnet. Er enthält alle komplett verdaulichen Bestandteile des Futters wie Zucker und Stärke. Der Gehalt ergibt sich TS-(Ra+Rp+Rfe+NDF). NFC enthält die Zellinhaltsstoffe von Pflanzen und ist Energielieferant. Sie sind also das, von Nehring & Hoffmann als "voll verdaulich anzusehen" ist.

Bild 4: Werte der erweiterten Weende-Analyse nach van Soest für "Wiese", in g/kg Trockensubstanz


Das Diagramm enthält die Analysewerte nach der erweiterten Weende-Analyse nach van Soest. Links sind zusätzlich die Werte der Weende-Analyse für "Rohfaser" (dunkelgrün) und den "Stickstofffreien Extraktstoffe (NfE)" (hellgrün) dargestellt. Die grauen Balken rechts geben jeweils den Gehalt an "NDF", "ADF" und "ADL" wieder. Aus dem Diagramm werden folgende Fakten ersichtlich:
  1. Rohfaser und NfE der Weende-Analyse enthalten einen Teil der Kohlenhydrate, ebenso die NDF der erweiterten Analyse
  2. die Rohfaser enthält das Lignin und einen Teil der Cellulose
  3. In der erweiterten Analyse ergeben sich aus NDF - ADF = Hemicellulose und aus ADF - ADL = Cellulose
  4. die NfE der Weende-Analyse enthält Kohlenhydrate, die von Enzymen und Bakterien verwertet werden können)
  5. NDF enthält nur Kohlenhydrate, die von Bakterien verwertet werden können.
Der große und aus meiner Sicht wichtigste Unterschied zwischen den Methoden besteht darin, dass man in der van-Soest-Analyse sieht, was den Bakterien im Blinddarm zur Verfügung steht und was enzymatisch im Dünndarm verdaut wird.

Sie kennen bestimmt die Aussage, dass die "Rohfaser" für die Verdauung wichtig wäre. Das ist aber nur die "halbe Wahrheit". Tatsächlich ist die jeweilige Menge und das Verhältnis der leicht und komplett verdaulichen Kohlenhydrate (NFC) zu den Gerüstsubstanzen (NDF) wichtig. In den NDF stecken Lignin, Cellulose und Hemicellulose und jede dieser Faserfraktion hat ihre Bedeutung für die Tiere. Sie bestimmen die aufgenommene Menge des Futters, die Durchgangszeit durch den Darm, die Verdaulichkeit der Nahrung, die Darmgesundheit und die Besiedelung des Blinddarms mit Bakterien.

Die Darmflora eines gesunden Organismus ist dadurch gekennzeichnet, dass bestimmte, typische Bakterien überwiegen. Sie erfüllen damit eine „Statthalter“-Funktion, die es anderen, fremden und möglicherweise pathogenen Bakterien erschwert, sich anzusiedeln. Diese Funktion wird durch die Nahrung bzw. durch das Substrat gewährleistet, von dem sich die etablierten Bakterien ernähren. Auf Grund ihrer überwiegenden Anzahl und dem Mangel an dem Substrat, von dem pathogene Keime profitieren könnten, bleibt die gesunderhaltende Darmflora stabil.

Nach der Säugezeit entwickelt sich im Blinddarm des Kaninchens eine Darmflora, die überwiegend aus solchen Bakterien besteht, die Gerüstsubstanzen (NDF) von Pflanzen für sich nutzen und dem Kaninchen im Gegenzug Nähr- und Wirkstoffe zur Verfügung stellen.

In der folgenden Tabelle sind auszugsweise Bakterien und ihre bevorzugten Substrate aufgeführt, also das, was ihnen als Nährboden dient.

Tabelle 1: Beispiele für Bakterien des Kaninchens und ihre bevorzugten Substrate (Auszug aus Rühle, 2017)


Wenn man sich das Diagramm in Bild ansieht, kann man sich ungefähr ausmalen, welche Bakterien im Blinddarm die meiste Nahrung (Substrat) erhalten und welche so gut wie nicht "versorgt" werden und Sie, liebe Leser, werden wahrscheinlich schon ahnen, worauf es hinauslaufen wird. Da die NFC im Dünndarm von Enzymen verwertet werden, bleiben nicht mehr viel dieser voll verdaulichen Kohlenhydrate übrig, um im Blinddarm Schaden anrichten zu können, weil sie Bakterien wie E. coli oder Clostridien als Nahrung dienen könnten. Die Nahrung des Wildkaninchens enthält zwar etwas mehr NFC als es die Werte der "Wiese" ausweisen, aber das soll später noch beleuchtet werden.

Jetzt haben wir die grundlegenden Informationen beisammen, um uns anzusehen, was daraus für unterschiedliche Futtermittel resultieren kann. Bleiben Sie also schön neugierig und interessiert!

PS: was mir gerade noch einfiel: Sie erinnern sich an die Feststellung von Dr. Schlolaut, die nach persönlicher Absprache mit L. Maertens getroffen wurde? "...täglich 5 bis 7 g Lignin zusatzlich zu 11 bis 12 g Cellulose..." entsprechen dem erforderlichen Rohasergehalt? In "Wiese" beträgt der Gehalt an Rohfaser rund 20 g und die Summe aus "Lignin" und "Cellulose" rund 30 g. Machen die Wildkaninchen irgendwas falsch? Da passt doch irgendwas nicht, oder? Auflösung folgt ...

Quellen:
  • DVT (2017): DVT-FutterFakten: Futtermittelkennzeichnung. (Stand Jan. 2014). Deutscher Verband Tiernahrung e. V. (DVT). Internet (Abruf am 02.12.2017): https://www.dvtiernahrung.de/aktuell/futterfakten/futtermittelkennzeichnung.html
  • Hirt, A.; Maisack, C.; Moritz, J. (2007): V. Ernährung nach § 2 Nr. 1., Rn 16. Tierschutzgesetz. Kommentar. 2. Aufl. München: Vahlen (Vahlens Kommentare). ISBN 9783800632305
  • Nehring, K.; Hoffmann, B. (1971): Untersuchungen zur Weiterentwicklung der Futtermittelanalyse. 3. Mitteilung: Die Zusammensetzung und Verdaulichkeit der Kohlenhydratfraktion in den Futtermitteln. Arch. Tierernährung. Bd. 21, Heft 4. 347-366 
  • Rühle, A. (2017): Das Kaninchen - Nahrung und Gesundheit. Norderstedt: BoD. ISBN 978-3743117990
  • Schlolaut, W. (2003): Das große Buch vom Kaninchen. 3., erw. Aufl. Frankfurt/M.: DLG-Verlag. ISBN 3-7690-0592-9
  • Thaer, A. (1809): Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. Bd. 1. Berlin : Realschulbuchhandlung
  • Van Soest, P. J. (1967): Development of a Comprehensive System of Feed Analyses and its Application to Forages. J Anim Sci 26. 119-128

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