Sonntag, 15. Oktober 2017

Eine kleine, persönliche Geschichte

Nach meinem Post zum Thema "Methionin" entspann sich eine kleine Diskussion um Harnwegserkrankungen. Ich finde es gut, wenn Leser meine Beiträge kritisch verfolgen und mir die Gelegenheit geben, bestimmte Dinge detaillierter zu beschreiben. In diesem Post möchte ich kurz darstellen, warum ich eigentlich so "klein in klein" verschiedene Dinge versuche zu erklären.

Der Grund ist aus heutiger Sicht vielleicht amüsant, aber damals war es das nicht. Ich beschäftige mich seit ca. 15 Jahren intensiver mit Kaninchen. Unsere ersten Kaninchen haben wir auf die Wiese gesetzt und zusätzlich Futter von Wiesen besorgt. Es schien uns völlig normal, Hauskaninchen wie Wildkaninchen zu behandeln, vor allem, was die Ernährung angeht. Das Bewegung an frischer Luft gesund ist, gilt ja auch nicht unbedingt nur für verschiedene Tierarten. Etwas später haben wir das Internet genutzt, um z. B. nach sinnvollen Trockenfuttern als Ergänzung zu suchen. Mit einigem Entsetzen mussten wir feststellen, dass nach Meinung vieler unsere Tiere völlig falsch gehalten und ernährt wurden. Demnach handelten wir zum Beispiel völlig verantwortungslos, weil unsere Tiere ihr Leben nicht im Schutz einer Wohnung verbrachten. Wir boten ihnen nicht das schöne Leben in trockener Luft auf glatten Laminat- oder Fliesenböden, wie es viele andere taten. Sie kamen nicht in den Genuss von stromführenden Kabeln, Tapete mit leckerem Kleister oder Chemikalien ausdünstende Teppiche und Möbel. Stattdessen mussten sie sich den Wind um die Nase wehen lassen, mit schmutzigen Füßen herumlaufen und sich Blätter von Comfrey aus dem Fell schneiden lassen, weil die sich so fürchterlich verhaken. Sie hatten weite Wege zurückzulegen, um verschiedene, offensichtlich gut schmeckende Pflanzen zu erreichen, die vor dem Verzehr nicht abgewaschen wurden. Müheselig mussten sie die Stängel von hochgewachsenen Topinambur durchnagen, um an die oberen frischen Blätter heranzukommen, weil die in den unteren Regionen schon verspeist waren.




Das gleiche machen Wildkaninchen übrigens mit Pflanzen, die an ihrem oberen Ende diese unsäglichen Früchte tragen, deren Verfütterung an Hauskaninchen nur hinter vorgehaltener Hand offenbart werden darf. Ich verrate das mal an dieser Stelle: Getreide. Die Tiere legen die Pflanzen einfach um und kommen auf diese Weise an die Körner heran. Aber eigentlich kann man den Fakt für Wildkaninchen ruhig erwähnen, weil er sowieso nicht geglaubt oder ignoriert wird. Während Wildkaninchen das wohl aus einem bestimmten Grund machen, wenn ihnen diese Nahrung zur Verfügung steht, muss man bei Hauskaninchen, die Getreide fressen davon ausgehen, dass sie offensichtlich völlig verblödet sind. Das ist natürlich genetisch bedingt. Es gibt beim Hauskaninchen wahrscheinlich so ein "Leckerlie-Gen", welches bei Züchtern mutiert ist und dafür sorgt, dass sie nicht mehr erkennen können, dass das eigentlich ein Leckerlie ist und kein Futter. Also schon Futter, aber eben als Leckerlie. Ist wie Schokolade bei Kleinkindern. Sagen zumindest besorgte Tierhalter. Kleinkinder hauen sich die Überraschungseier rein, dass das Plastik kracht und genauso geht es Hauskaninchen mit dem Gendefekt - sie wissen einfach nicht, was sie tun.

Im Winter wurde es noch schlimmer. Wenn Schnee lag, mussten sie bei lausiger Kälte auch noch körperlich aktiv werden, um an Grünes zu kommen. Ich vermute, dass es ein persönlicher Affront gegen mich war, dass sie stolz losmarschierten und Gras frei buddelten, statt das schöne warme, gewaschene und geschälte Gemüse zu fressen.



Immerhin ließ ich mich erweichen und schaufelte ihnen wenigsten Gassen in die Schneelandschaft.


Es kam aber noch schlimmer: uns erreichte die Kunde, dass Kaninchen eigentlich strunzdumm und ohne dem Menschen nicht in der Lage sind zu entscheiden, welche Nahrung ihnen gut tut und welche nicht (also noch ein, aber anderer Gendefekt). Sie sind sinnesmäßig quasi auf dem Level eines Kleinkindes, welches Unmengen von Salz in sich hineinschaufeln würde, wenn Mutti nicht aufpassen würde. Die würden auch ungeschälte Zitronen en gros essen, wenn man sie nicht davon abhielte. Genauso das Kaninchen: es macht nur Dummheiten und ist unfähig, sich selbst am Leben zu halten. Nachdem wir also lasen, dass es Giftpflanzen gibt, die das Kaninchen nicht kennt (es kann ja keine Tierschutzseiten im Internet lesen - auch so ein Nachteil), machten wir eine kritische Begehung des Grundstücks und stellten fest, dass sie sich jahrelang in einer Umgebung bewegten, die eigentlich hochtoxisch ist. Wir fanden z. B. Sumpfdotterblumen, Hahnenfuß und am allerallerallerschlimmsten: Eibe und Buchsbaum. Die standen da rum. Von uns völlig unbeachtet. Und was noch viel und am nochschlimmsten war: wir haben sie davon fressen sehen (macht es eigentlich Sinn, nach zwei Jahren noch den Pegel von Taxin im Blut bestimmen zu lassen?).


In der linken, oberen Bildecke des folgenden Bildes sieht man die Eibe und den Buchsbaum. Weiterhin sieht man ein gefährliches, domestiziertes Raubtier und davor ein ahnungsloses Kaninchen, welches im Gras schläft(!). Die eingezäunten Gewächse am rechten Bildrand sind ebenso ahnungslose Topinamburpflanzen. Aber wenigstens sind die geschützt - nämlich vor dem Zugriff des Kaninchens, das nur darauf wartet, das wir den Schutz entfernen.


Natürlich wollte und musste ich mich irgendwie rechtfertigen, warum wir unsere Tiere diesen Gefahren aussetzen und verwies darauf, dass genau wie der Mensch, dass Kaninchen in der Lage sei, bestimmte Stoffe am Geschmack zu erkennen und deshalb den Verzehr anpassen würde - wenn es denn die Möglichkeit dazu hat. Ich habe also diverse Quellen und Kenntnisse eines naturwissenschaftliches Faches genutzt, welches in manchen Bundesländern nicht mehr so streng gelehrt wird, wie es früher mal üblich war und deshalb ... aber das ist ein anderes Thema. Ich habe also etwas getan, was gemeinüblich in bestimmten Kreisen "Verharmlosung" genannt wird: ich habe die letale Dosis des Taxins der Eibe auf die Menge der betreffenden Pflanze umgerechnet, die ein Tier aufnehmen müsste, um tot umzufallen. Natürlich muss es diese Menge auch in Nullkommanix (Nullkommanix = Zeitdauer = Null Sekunden ohne Kommastellen) aufnehmen.


Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mich entschloss, all die kursierenden Angaben über das Kaninchen darauf zu prüfen, ob sie Sinn machen oder nicht. Zum Einen hatten wir unsere eigenen Kaninchen, die trotz der ganzen "Vergehen" unsererseits quietschfidel und pumperlgesund waren, zum Anderen gab und gibt es Wildkaninchen in unserer Umgebung, die ich beobachte. Naja, und natürlich wurden über viele Jahre "seriöse" Quellen, auch Fachliteratur genannt, gelesen. Außerdem verabschiedete ich mich von Internetforen.

Jedes Forum im Internet ist ein kleiner Mikrokosmos mit seinen Mitgliedern, Regeln und Meinungen. Ein anderer, eher bösartiger Begriff dafür ist "Filterblase". Die Qualität der Beiträge ist stark abhängig vom Wissen der Schreibenden, den Forenbetreibern, eventuell vorherrschenden Ideologien und der Toleranz gegenüber abweichenden Beiträgen bzw. Fakten. Neben einem Rassekaninchenforum gehören die allermeisten Foren, die ich zum Thema "Kaninchen" kenne, Tierschutzorganisationen bzw. -vereinen. Darunter sind einige, die sehr extrem auf Informationen reagieren, die nicht ihrem Weltbild entsprechen. Auffällig ist bei diesen, dass das Fachwissen über Kaninchen quasi gleich Null ist und die Meinungsführerschaft bei der Blogbetreiberin und wenigen aus ihrem Gefolge liegt, welche die Inhalte von Beiträgen kontrollieren. Ich schreibe nicht aus Böswilligkeit von Forenbetreiberin, weil mir tatsächlich nicht ein Forum im (Kaninchen-)Tierschutzbereich bekannt ist, welches einem Mann gehört. Hier sollte also unbedingt eine Quote her.

Irgendwann fand ich zwar ein kleines, aber feines Forum, in dem absolut ideologiefrei diskutiert werden konnte. Es war auch nicht ausschließlich auf Kaninchen fixiert, sondern auf viele Kleinsäuger, was für mich persönlich sehr interessant war. Letztlich nervte aber auch dort, dass ich in Diskussionen Fakten anführte, die aus wissenschaftlichen Arbeiten stammen. Diesen ist immer schwer zu widersprechen, wenn man Recht behalten möchte. Also habe ich auch dort vor ca. 1 Jahr meine Zelte abgebrochen. Genutzt habe ich die Zeit für die Fertigstellung eines Buches und dem weiteren Studium von Fachliteratur, welche sich im Laufe der Jahre angesammelt hatte.

Studien, Fakten, Zahlen, Details - es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie darauf reagiert wird.

In einem Forum entwickelt sich die Diskussion häufig auf folgende Weise:
A: Ich habe jetzt zwar nicht alles gelesen, aber ich habe gehört, dass ... (beliebige These einsetzen).
B: Also das stimmt so nicht, weil es so und so ist (Widerspruch zur These)
A: Es ist aber so. Darüber gibt es auch Studien, die ich gerade nicht zur Hand habe.
B. Wie gesagt, es stimmt nicht.
A: Das musst Du jetzt aber belegen. Gib mir bitte eine Studie.
B. Hier ist die Studie.
A: (3 Sekunden später) Das ist für mich nicht aussagekräftig, weil es dafür auch andere Ergebnisse gibt, die ich gerade nicht zur Hand habe
B: Ja, aber es gibt noch weitere Studien (hier, hier), die das bekräftigen, was ich empfehle. Sonst könnten die Tiere krank werden.
A: Aha, Du behauptest jetzt also, ich mache meine Tiere krank!
B: (denkt sich: Ja - schreibt aber:) Nein, aber es gibt wissenschaftliche Belege dafür, dass das, was Du empfiehlst, Tiere krank machen kann.
A: Unerhört. Ich bin im Tierschutz tätig, nehme Tiere auf, die kurz vorm Sterben waren, vermittle in Pflegestellen und bin selber eine, habe Erfahrung aus x Jahren Tierhaltung und jetzt kommst Du und erklärst mir, dass alles falsch wäre?
B: Nein, ich behaupte nur, dass Deine These falsch ist.
A: Jaja, und deshalb lasse ich meine Tiere sterben. Wenn die krank sind, dann sind die Züchter daran Schuld! Moderation, bitte einschreiten!
Moderation: An B: ich kenne A schon sehr lange und weiß, dass sie ihre Tiere gut behandelt. Bitte mäßige Dich.
B: Ich verweise doch nur auf Studienergebnisse. 
A: Also ich breche die Diskussion an dieser Stelle ab. Unerhört!
B: (schreibt nichts mehr und denkt sich: Und Tschüss...)
A: (denkt: siehste, der schreibt nichts mehr, habe ich doch Recht gehabt)
Kaninchen von A: Mist, hätte doch B Recht bekommen, dann würde es mir jetzt besser gehen ...

Vor einigen Jahren hatte ich eine Diskussion in einem Forum, welches von einer angehenden Biologin(!) geleitet wurde. Dort erklärte ich, dass Kaninchen "Folivore", also "Blattfresser" sind und deshalb ihre Nahrung entsprechend sein sollte. Darauf antwortete mir die Studierende, dass sie sich gemeinsam mit Kommilitonen auf die Schenkel geklopft hätten vor Lachen über den Unsinn, den ich erzählen würde. Damals dachte ich bei mir: ohje, armes Deutschland - das ist dein wissenschaftlicher Nachwuchs. Abgesehen von einer offensichtlich fehlenden, intakten Kinderstube sehen sich Studenten heutzutage offenbar nicht einmal mehr in der Lage, ein unbekanntes Fremdwort zu googeln (früher mussten wir erst in die Bücherei gehen und in  Wörterbüchern nachschlagen). These, Antithese und darüber mit Argumenten diskutieren ist im Tierschutz nur schwer möglich. Deshalb ist er auch mit Menschen durchsetzt, die kein Fachwissen haben. Die allermeisten "Tierschützer" kennen nicht einmal das Tierschutzgesetz, Kommentare dazu oder Grundlagenwerke wie die von Sambraus & Steiger (1997) oder Methling, et al. (2002). Sie nennen sich "Tierschützer" (ein nicht geschützter Begriff) und sind der Meinung, dass ihnen damit alles Gute und Richtige der Welt in den Schoß gefallen ist. Als eingetragener Verein wird ihnen eine Wichtigkeit verliehen, die nur blendet. Wohlgemerkt: nicht jeder Verein ist mit meiner Kritik gemeint, aber dass man mit mir lieber nur "hintenrum" Kontakt und Beratung haben möchte, spricht schon Bände. Ideologie halt.

Mittlerweile berate ich angehende Juristen, studierende Tierärzte, die mit diesen Tieren keinen persönlichen Kontakt haben (können), Tierschützer in Haltungs- und Ernährungsfragen und natürlich viele, viele Halter, die verzweifelt sind und mich erst dann kontaktieren, wenn kein Tierarzt oder "Tierschützer" mehr helfen konnte. 

Wie auch immer: zurück zur Frage, warum ich vieles so detailliert erkläre:
  • es interessiert mich persönlich,
  • bestimmte Sachverhalte erschließen sich erst, wenn man Hintergründe (Fakten, Details) kennt
  • ich kann damit Haltern helfen, deren kranke Tiere als austherapiert gelten,
  • weil Tierhalter erst auf Grund meiner Erklärungen bestimmte Dinge ändern, da ihnen die Hintergründe (Details) nicht bekannt waren,
  • weil ich damit also Tieren (indirekt) helfen kann,
  • weil ich unsinnige Empfehlungen widerlegen kann, ohne eine Person zu treffen (es sei denn, ich widerlege die Aussage einer Person),
  • weil ich hoffe, dass es Tierhalter zumindest zum Nachdenken anregt.
  • weil ich Studierenden (wie auch anderen) zeigen möchte, dass es nicht reicht, nur Abstrakte zu lesen
  • das es sich immer lohnt, bestimmte Dinge, die einem vom "Bauchgefühl" her nicht passen, kritisch zu hinterfragen 
  • weil mir z. B. kein Halter glaubt, dass Heu für die Ernährung von Kaninchen suboptimal ist. Erst wenn ich mit Fakten (Details) zeige was Heu eigentlich ist, wird mir geglaubt (oder es wird ignoriert)
An dieser Stelle möchte ich auch noch einmal ganz deutlich machen, das, egal was oder wie ich es schreibe, niemanden persönlich treffen möchte. Wo es Licht gibt, ist aber auch der Schatten nicht weit. Es geht mir immer nur um das Tier des Halters, also das Kaninchen. Das sehe ich vor mir und versuche mir vorzustellen, wie es sich im Moment mit der beschriebenen Haltung und Fütterung fühlen mag.

In diesem Sinne wünsche ich allen Kaninchen diesen Welt immer das Beste und ihren Haltern die Vernunft und Kraft, für sie in einer Weise zu sorgen, die sie glücklich macht.


Quellen:
  • Methling,W.; Unshelm J. (2002): Umwelt- und tiergerechte Haltung von Nutz-, Heim- und Begleittieren. ISBN: 9783826331398 
  • Sambraus, H. H.; Steiger, A. (1997): Das Buch vom Tierschutz. Stuttgart: Enke. ISBN: 343229431X  
  • Tierschutzgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 18. Mai 2006 (BGBl. I S. 1206, 1313), das zuletzt durch Artikel 141 des Gesetzes vom 29. März 2017 (BGBl. I S. 626) geändert worden ist

2 Kommentare:

  1. Respekt vor diesen Text. Genial geschrieben. Und auch wenn ich selbst in einem solchen Forum bin und mich selbst als Tierschützer betrachte, habe ich mich so manches Mal auf die Schenkel geklopft. Aber der Text hat mich auch sehr nachdenklich werden lassen. Auch dafür vielen Dank.

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  2. Danke, Ralf! Freut mich sehr, wenn die Zeilen zum Nachdenken anregen.

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